Wenn das eigene Land einem nicht mehr gehören soll

Über den Besuch aus Brasilien und das Laienjuristenprojekt der IRPAA

In den Räumen der IG Metall in Wolfsburg kamen am 14.09.22 Vertreter*innen der IG Metall, InterSoli, Misereor, katholischer Kirche und dem Instituto Regional da Pequena agropecuária apropriada – kurz IRPAA zusammen. Der Präsident der Organisation, José Moacir dos Santos, berichtete von der aktuellen Lage vor Ort.

Ein kurzer Rückblick

In der Vergangenheit wurden Ortschaften im Nordosten Brasiliens, einer semiariden Region mit wenig natürlichem Niederschlag, auch mit Spenden aus Wolfsburg unterstützt, um eine dem Klima angepasste Landwirtschaft und Lebensweise umsetzen zu können. So wurden Zisternen, Brunnen, Wasserbecken und mehr gebaut, welche die Speicherung von Regenwasser über einen längeren Zeitraum ermöglichen, um so sowohl Nutz- wie auch Trinkwasser für die Menschen zur Verfügung zu stellen. Diese Projekte lieferten einigen Erfolg und ermöglichten vielen Familien ein Leben in einer trockenen Umgebung. 

Die Lage heute

Der Klimawandel zeigt aber auch hier Wirkung. Nicht nur in Form von veränderten klimatischen Verhältnissen, sondern auch in Form von – vor allem europäischen – Konzernen, die in der Region Solarparks und Windkraftanlagen bauen möchten und dafür auf das Land der Dorfgemeinschaften angewiesen sind. Die Energie ist indes nicht für die Einwohner gedacht, sondern für Kunden in den großen Städten oder für Großunternehmen, die – auch auf Druck ausländischer Investoren – grünen Strom beziehen möchten. Hier deutet sich schon eine komplizierte Gemengelage an, die noch dadurch erschwert wird, dass die Besitzverhältnisse des Landes der Dorfgemeinschaften immer wieder Gegenstand verschiedenster Interessengruppen waren und auch die rechtlichen Grundlagen vielen Menschen vor Ort nicht bekannt sind, geschweige denn, dass sie immer klar und eindeutig geregelt wären. Deshalb kommt es immer wieder und vermehrt zum „Landgrabbing“. Den Dorfgemeinschaften werden angebliche – und letztlich gefälschte – Besitzurkunden präsentiert, um ihnen ihr eigenes Land streitig zu machen. Sollte dies nicht funktionieren, wird zu Methoden übergegangen, die auf die Spaltung der Gemeinschaft setzen – bspw. durch finanzielle Anreize an den Ortsvorsteher –, um eine Übergabe des Landes zu erreichen. Häufig wissen die Dorfgemeinschaften nicht, über welche Rechte sie eigentlich verfügen, wie sie sich gegen die Vorgehensweise anderer Player wehren können oder welche rechtlichen Schritte überhaupt gegangen werden können. 

Das Laienjurist*innenprojekt

Genau an dieser Stelle setzt das Projekt der IRPAA an. In Workshops werden von dieser NGO und weiteren lokalen Partnern in den Dorfgemeinschaften Menschen gezielt in rechtlichen Fragestellungen geschult. Sie erhalten Grundlagenwissen in Staatsrecht, Landrecht und sozialen Bewegungen, die ihre Anliegen unterstützen. Es wird über Organisationsaufbau, Vereinswesen und Kommunikation von Anliegen gesprochen, ebenso über Umweltrecht und über das Land, auf dem sie leben. Dabei steht auch ausdrücklich der bisher eingeschlagene Weg der Konviventia mit dem semiariden Klima weiterhin im Fokus. Das jetzige Projekt zur Ausbildung von Laienjurist*innen ist also als konsequente Fortführung der schon seit mehr als zwei Jahrzehnten bestehenden Arbeit vor Ort anzusehen. Heruntergebrochen könnte man sagen: Die Menschen vor Ort haben es geschafft, sich in einer schwierigen Umgebung mit den vorhandenen Mitteln ein Leben aufzubauen. Jetzt geht es darum, dass sie dieses auch weiterleben können.

Was können wir von hier aus tun?

Eine starke Partnerschaft in Wolfsburg, bestehend aus den genannten Organisationen, arbeitet an einer Unterstützung dieses Projekts. Es soll ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass in einer globalisierten Welt Fragen von sozialer Gerechtigkeit nicht bloß das eigene Land betreffen, sondern auch Regionen in anderen Ländern. Die Umstellung auf grüne Energien in aller Welt bedeutet, dass diese Energie irgendwo produziert werden muss. Manches geht dabei in Deutschland selbst, andere Konzerne investieren aber auch in Übersee, beispielsweise im Nordosten Brasiliens, um mit dieser Energieform Gewinne zu erwirtschaften. Dies geht häufig nur auf Kosten der Landrechte der lokalen Bevölkerung. Aber auch für uns ist es wichtig, zu wissen, dass „grüne Energie“ nur dann wirklich nachhaltig sein kann, wenn sie die Rechte der Menschen vor Ort beachtet. Genau deshalb ist das Projekt der IRPAA zur Ausbildung von Laienjurist*innen auch so wichtig; ebenso wie die Bewusstseinsbildung hier in Deutschland. Je mehr Menschen über diese Zusammenhänge Bescheid wissen, desto weniger Chancen haben Konzerne und Regierungen, sich über die Interessen der Menschen hinwegzusetzen.
Natürlich gibt es auch eine direkte Möglichkeit, die Arbeit der Engagierten und Bauern vor Ort zu unterstützen: In Zusammenarbeit ermöglichen IG Metall und Misereor die Finanzierung des Laienjurist*innenprojekts der IRPAA. So können Sie mit Ihrer Spende aktiv und sicher helfen.

(Text: Birgit Dybowski, André J. Pauwels)