Zur Situation der pastoral Mitarbeitenden im Raum Wolfsburg-Gifhorn

Zur aktuellen Personalsituation des pastoralen Personals im Raum Wolfsburg-Gifhorn hat Dechant Thomas Hoffmann einen ausführlichen Brief verfasst, in dem er die derzeitige Situation für die Gemeinden transparent macht und einige Konsequenzen aufzeigt. Hier können Sie den Brief lesen.

 

Der überpfarrliche Personaleinsatz (ÜPE) in Wolfsburg und Gifhorn bezieht sich auf 4 Pfarreien und 10 Kirchen. Er umfasst die Städte Wolfsburg und Gifhorn sowie sehr viele Ortschaften, z.B. Meine, Groß Schwülper, Meinersen, Müden (Aller), Ehra-Lessien, Brome, Groß Twülpstedt … Bei uns wohnen gut 30000 Katholiken, mehr als in jedem anderen ÜPE-Raum des Bistums Hildesheim.

Liebe Gemeinde[n],

heute möchte ich Sie über die Personalsituation in der Seelsorge informieren. 

Im überpfarrlichen Personaleinsatz Wolfsburg/Gifhorn arbeiten sechs Priester für alle Gemeinden  (Kaplan Schulze, Pastor Dr. Solis, Pastor Dr. Makinisi, Pastor Dr. Manzanza, Pastor Lavrentiev und Pfarrer Hoffmann) sowie Pastor Hutsal für die ital. Mission. Weiterhin ist eine Gemeindereferentin (Patricia Hinz, Dienstsitz Wolfsburg) mit halber Stelle bei uns tätig, eine pastorale Mitarbeiterin (Christine Cordes, Dienstsitz Gifhorn) mit 25 Wochenstunden, eine pastorale Mitarbeiterin mit 10 Stunden (Heidi Hohgardt, Dienstsitz Meine) und ein pastoraler Mitarbeiter (André Pauwels, Dienstsitz Wolfsburg, Arbeitseinsatz in Wolfsburg und Gifhorn) in Vollzeit. Diakon Wypich, der sein Amt als Ehrenamtlicher ausübt, leistet fast so viel wie ein hauptamtlicher Diakon. Frau Schulz, die Gemeindereferentin aus Gifhorn, ist Ende Oktober in den Ruhestand gegangen. Die Stelle ist noch nicht wiederbesetzt. Die Dekanatsreferentin (Antonia Przybilski) unterstützt uns nach Kräften, hat aber ihren eigentlichen Einsatzort nicht in der Gemeindepastoral. 

Die vielen Ehrenamtlichen in unterschiedlichen Aufgabenfeldern üben aus Überzeugung und mit bewundernswertem Einsatz  einen großartigen Dienst für unsere Gemeinden aus. Sie leisten oft Übermenschliches und gehen in ihrem Ehrenamt an ihre Grenzen. Ihnen gebührt mein allergrößter Dank.

Von den sechs o.g. Priestern ist  einer, Pastor Lavrentiev, die längste Zeit des Jahres in der Ukraine. Manchmal und nicht lange vorhersehbar darf er für eine begrenzte Zeit, meistens 6 Tage bis 3 Wochen, ausreisen. Dann hilft er uns sehr engagiert in der Seelsorge. Kaplan Schulze ist schwer erkrankt. Im Rahmen seiner Möglichkeiten unterstützt er mit Herzblut unser Team. Es ist nicht absehbar, ob dies in den nächsten Monaten möglich sein wird. Pastor Dr. Manzanza wird sich am 20. November einer Krebsoperation unterziehen. Wann er danach wieder voll einsatzbereit ist, lässt sich heute nicht sagen. Die drei Letztgenannten können nicht bei einer perspektivischen Planung berücksichtigt werden, weil wir aktuell nicht wissen können, wann der Ukrainekrieg endlich beendet sein bzw. wann sich die Krankheitslage entscheidend zum Besseren wenden wird.

Es bleiben also drei Priester, mit denen wir in den nächsten Monaten planen können. Diese drei Priester haben auch Urlaub. Sie sind auch einmal krank, machen Exerzitien, gehen auf Gemeindefahrt, haben einen freien Tag in der Woche, machen ab und an eine Fortbildung oder haben eine Lehrverpflichtung in einem Priesterseminar im Kongo. Diese Zeiten zusammengezählt ergeben Abwesenheiten von mehr als einem halben Jahr bezogen auf eine Vollzeitstelle.

In der Kirche ist es wie in jeder anderen Arbeitsorganisation. Möchte ich an 365 Tagen im Jahr drei Mitarbeitende ständig im Dienst haben, muss ich mindestens 4 ½ Mitarbeitende einstellen. Möchte ich permanent zwei Mitarbeitende im Dienst haben, muss der Betrieb wenigstens drei Vollzeitstellen besetzen. Daraus ergibt sich die Folgerung, dass wir in den nächsten Monaten so planen müssen, als wären nur zwei gesunde Priester in Wolfsburg und Gifhorn verfügbar. Mit Aushilfskräften und mit besonderen Anstrengungen können wir besonders intensive Zeiten wie Weihnachten und Ostern noch immer mit einem attraktiven Angebot gut gestalten.

Wir haben in der Vergangenheit immer wieder vieles möglich gemacht. Damit sind wir jetzt an ein Ende gekommen. Uns steht das Wasser bis zum Hals. Wir müssen und werden Prioritäten setzen, auch aus einer Fürsorgeverantwortung für die gesunden Mitarbeitenden, für Hauptamtliche und für Ehrenamtliche. Der Personaleinsatz ist so zu gestalten, dass die, die ihn heute ausüben, auch in Zukunft mit Kraft und Freude bei der Sache sein können. 

Was ist für unsere Gemeinden erstrangig? Was hat Zukunft? Welche Gedanken zur Gemeinde entspringen einer romantisierten Vergangenheit und sind reine Nostalgie? Was hat eine missionarische Ausstrahlung? Welche Zielgruppen sind vorrangig zu behandeln und welche nachrangig? Bei welchen Anfragen und Ansprüchen an uns müssen wir klar und deutlich nein sagen und Menschen enttäuschen? Diesen und noch anderen Fragen werden wir uns stellen. Das machen wir nicht gern, aber die Situation lässt uns keine andere Wahl.

Vieles, was in der Gemeinde geschieht, ist wichtig. Vieles unterstützt Menschen und tut ihnen gut. Aber ist alles erstrangig? Ich denke, dass neben den Schwerpunkten auch Leichtpunkte zu setzen sind.  Das könnte möglicherweise einen Bereich betreffen, der Ihnen wichtig ist. Schon heute lässt sich sagen: Wir werden, was wir sehr bedauern, nicht mehr so viele Gottesdienste in Altenheimen feiern können, weil uns dafür Haupt- und Ehrenamtliche fehlen. Die Anzahl der Wochentagsmessen wird sich verringern. Andachten, Kreuzwege, Rosenkränze usw. werden grundsätzlich ohne priesterliche Beteiligung gefeiert. Sondergottesdienste werden möglicherweise als Wortgottesfeiern begangen, Kaffeenachmittage und Familienfeiern werden eher selten mit hauptamtlichem Personal stattfinden und einiges mehr. Mittel- und langfristig werden wir Sonntagsmessen reduzieren, was nicht heißt, dass nicht andere Gottesdienste wie Wortgottesfeiern, Stundengebet, WhatsApp-, Lobpreis, Taizégottesdienste … ohne priesterliche Beteiligung in unseren Kirchen oder digital stattfinden können. Prioritär sind sicher die Gottesdienste an den Hochfesten und vorerst an den Sonntagen, die Taufen, Trauungen und Bestattungen. Gleiches gilt für Gottesdienste an unseren katholischen Schulen mit jungen Menschen, die wir glücklicherweise auch in der wichtigen Erstkommunion- und Firmvorbereitung erreichen. Für seelsorgliche Gespräche haben wir immer Zeit. Menschen an existenziellen Punkten ihres Lebens zu begleiten ist uns ein großes Anliegen. Initiativen in der Jugendarbeit werden wir unterstützen. Geniale Aktionen wie das Himmelszelt, die uns auf die Spur einer zukünftigen Kirche bringen können, sind unbedingt zu fördern.

Heute haben wir noch sieben Priester mit einem Dienstauftrag für Wolfsburg und Gifhorn. In 10 Jahren werden es vielleicht noch drei Priester sein. In 20 Jahren wird es ein Priester sein. Ob wir freie Stellen für Pastorale Mitarbeitende immer besetzen können, ist fraglich. Diese Prognose ist noch nicht einmal gewagt. Es ist verantwortungsbewusst, uns schon jetzt darauf einzustellen und Veränderungen in den Blick zu nehmen. Der Kipppunkt in der Gemeindeseelsorge, von dem schon seit vielen Jahren gesprochen wird, ist für uns heute erreicht. All das ist mit dem Auftrag verbunden, die Zukunft aktiv zu gestalten und eine neue Gestalt von Gemeinde und Kirche zu suchen, die aus der Nähe zu Christus lebt und eine Ausstrahlung auf die Menschen in unserer Nähe hat.

Diese Zeit ist natürlich auch eine Zeit für alte und neue Talente, für Menschen, die sich für ihre Gemeinde engagieren möchten. Unsere aktuelle und zukünftige Situation eröffnet Möglichkeiten und Spielräume, weil sich Kirche radikal verändern wird. Vieles Liebgewonnene wird vergehen, aber auch Neues wird aufblühen. Ich bin voller Hoffnung, dass der Heilige Geist einige positive Überraschungen für uns bereithält.
 
 

Thomas Hoffmann