Respektvoller Umgang mit Lebensmitteln - Foodsharing und Caritas-Mittagstisch

Verschwendung? - Zwei Beispiele für den respektvollen Umgang mit Lebensmitteln

Viele Lebensmittel, die nicht mehr zum Verkauf angeboten werden, jedoch noch genießbar sind, bekommen dank vieler Engagierter eine zweite Chance. Sie werden bei Tafeln oder beim Caritas-Mittagstisch an Bedürftige weitergegeben oder durch Engagierte des foodsharing vor der Tonne gerettet. Über zwei Gespräche mit Engagierten möchten wir hier berichten.

Logo Caritas-Mittagstisch

Engagiert beim Caritas-Mittagstisch

Henry Parrer engagiert sich seit eineinhalb Jahren beim Mittagstisch der Caritas in Wolfsburg. Er hilft beim Sortieren, Packen und Ausgeben der Lebensmittel an Bedürftige und spricht viel mit ihnen. Warum eigentlich? Was treibt ihn an?

Da ist zum einen seine christliche Sozialisation und die Botschaft der Nächstenliebe. Da ist zum anderen die Einsicht, dass es einfacher möglich ist, in einem Umfeld von 25 bis 50 Kilometern etwas Positives zu bewirken als die große Welt zu verändern. Beides zusammen führt zu dem für ihn zentralen Punkt: Den Menschen zu helfen. Deshalb geht es bei seinem Engagement nicht bloß um das Verteilen von Lebensmitteln, sondern immer auch ganz konkret um die Menschen, die zum Mittagstisch kommen. Mit ihnen sprechen, ihre Geschichten, Sorgen und Nöte hören und gerade so auch den vielen Einsamen unter ihnen ein offenes Ohr zu schenken. Denn auch beim Mittagstisch geht es für viele Bedürftige nicht nur um das Materielle, sondern auch um die Gesellschaft und einen Ort, an dem ihnen zugehört wird.

Bei aller Überzeugung von seinem Einsatz für die Menschen gesteht er aber auch ein, dass die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche dabei nicht immer leicht ist - vor allem in den letzten Jahren. Hier bringt er auch Kritik an, besonders an den Missbrauchsskandalen und dem Umgang der Bischöfe damit. Er bleibt trotzdem, auch der Überzeugung heraus, dass sich in den nächsten Jahren tatsächlich auch innerhalb der Kirche Dinge zum Positiven wenden.

Die Verbundenheit zur Kirche und insbesondere zur christlichen Überzeugung merkt man ihm durchgehend an, sie zieht sich wie ein Faden durch unser Gespräch. Er ist überzeugt, dass man mit dem eigenen Handeln und Sprechen „einen Samen setzen kann“, der anderen Menschen eine gelebte christliche Überzeugung authentisch näherbringt. Dies zeigt sich auch, als er über den Klimaschutz spricht und einwirft, dass man selbst seinen kleinen Beitrag leisten kann, um Verschwendung zu vermeiden und Positives zu bewirken.

Um diese kleinen Beiträge geht es dann auch in der Frage, wie man den Mittagstisch unterstützen kann. Die Erfahrung zeigt, dass es besonders zu Weihnachten viele Spenden von diversen Stellen gibt, die so zahlreich sind, dass sie noch Monate später ausgegeben werden können. So positiv das auch ist, so schwierig ist es jedoch, damit eine gewissen Planbarkeit herzustellen. Deshalb setzt er genau da an: Eine Wunschlösung wäre eine Art „Abo-Modell“, bei dem Personen, Firmen, Organisationen, Abteilungen oder Freundeskreise sich bereit erklären, ein Mal im Monat bestimmte Lebensmittel zu spenden, die häufig gebraucht werden: Reis, Nudeln, abgepackter Käse oder abgepackte Wurst, Milch in Tetra-Paks oder auch – besonders beliebt – Kaffee. Alternativ kann er sich dieses Abo-Modell auch mit kleinen, aber regelmäßigen Geldspenden vorstellen: Wenn zum Beispiel eine Abteilung oder ein Kollegium einer Schule pro Person pro Monat einen oder zwei Euro spendet. Dies würde es ermöglichen, die über die Spenden hinaus benötigten Lebensmittel für die Bedürftigen anzuschaffen. Die klassische Patenschaft hilft aber auch bei der Planbarkeit und der Versorgung der Menschen und ist deshalb natürlich auch sinnvoll.  

^ajp / März 2022


foodsharing - Lebensmittel vor der Tonne retten

Anna-Maria Spezia-Kaiser engagiert sich als Botschafterin beim foodsharing in Wolfsburg. Im Interview berichtet sie, wie sie zusammen mit anderen Engagierten in Wolfsburg ein großes Netzwerk von foodsavern aufgebaut hat.

Anna-Maria, wie lange bist Du schon beim foodsharing dabei?
Ich bin seit September 2017 dabei. Ich bin durch einen Zeitungsartikel zum foodsharing gekommen. Mich hat es schon als junges Mädchen gestört, dass Lebensmittel verschwendet werden. Früher hab ich auch ab und zu containert, weil mich so geärgert hat, dass Lebensmittel weggeworfen werden. 2017 gab es in Wolfsburg noch gar kein foodsharing. Deswegen hab ich mich erst in Braunschweig angemeldet und dort meine Einführung und meinen Ausweis gemacht. Zwei oder drei Monate habe ich in Braunschweig Lebensmittel gerettet und in Wolfsburg verteilt. Dann im November 2017 bin ich Betriebsverantwortliche geworden. Das heißt, ich durfte in Absprache mit einem foodsharing-Botschafter Betriebe ansprechen und war für einen Betrieb verantwortlich, ich habe mich um diesen Lebensmittelspender gekümmert. Im Januar 2018 bin ich Botschafter geworden und habe begonnen, das foodsharing in Wolfsburg aufzubauen, gemeinsam mit einer weiteren Botschafterin.

In welchem Umfang bist Du fürs foodsharing tätig?
Ich lebe es, ich bin jeden Tag  3-4 Stunden fürs foodsharing tätig. Im Durchschnitt hole ich wöchentlich noch dreimal Lebensmittel ab, dazu kommt meine Tätigkeit als Botschafterin.

Was genau sind Deine Aufgaben als Botschafterin?
Ich bin als Botschafterin für Aufbau der Betriebe, Ansprache und Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Ich arbeite auch bezirksübergreifend und helfe, Kooperationen anzubahnen. Ich bin also mehr koordinierend tätig. Ich mag Harmonie und mir ist wichtig, dass sich die Engagierten und die Betriebe gut verstehen.

An wen gebt Ihr die Lebensmittel weiter?
Wir haben mittlerweile zwölf Abgabestellen in Wolfsburg, dazu gehören u.a. die Asylantenheime, die Moschee, die Drogenberatungsstelle, der Caritas-Mittagstisch. Die Lebensmittel retten wir bei vielen verschiedenen Supermärkten in der Region. foodsharing hat mit einigen Supermarktketten Verträge, und wir werden mittlerweile mit offenen Armen empfangen. Das finde ich super. Wir haben auch Betriebe in Wolfsburg auf Abruf, das heißt, wenn die Betriebe etwas haben, dann rufen sie bei uns an und wir organisieren die Abholung.

Wie viele Lebensmittel rettet ihr?
Wir haben seit Beginn des foodsharing in Wolfsburg 363.299 kg Lebensmittel gerettet, bei 22.104 Rettungseinsätzen. Im Moment sind wir 508 foodsaver und haben im Moment 41 laufende Kooperationen.

Wer engagiert sich als foodsaver und gibt es Voraussetzungen?
Voraussetzung ist: Wir nehmen kein Geld, wir tauschen auch nicht, sondern wir verschenken alles. Jeder von uns hat sein Netzwerk. Wir maßen uns nicht an zu beurteilen, wer bedürftig ist und wer nicht, dafür sind die Tafel und die Caritas da. Bei uns darf jeder mitmachen. Es sind ganz viele verschiedene Menschen, die das gemeinsame Ziel haben, dass Lebensmittel nicht in der Tonne landen. Es geht um die Wertschätzung für Lebensmittel. Dabei kann man aus Lebensmittelüberschuss so viel machen.

Welche Lebensmittel rettet ihr hauptsächlich?
Wir retten oft frisches Ost und Gemüse, aber auch viele verschiedene Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Wir von foodsharing richten uns nach dem Drei-Punkte-System: schauen, riechen, schmecken. Auch Backwaren, die hart sind, nehmen wir mit und bringen sie zu einer Abgabestelle für Tiere. Viele Menschen machen sich gar keine Gedanken, wie viel Arbeit z.B. in einem Brötchen steckt. Darüber denken manche Menschen überhaupt nicht nach.
Auch aus Restaurants und Kantinen holen wir Lebensmittel und bereits fertig gekochte Gerichte ab und geben sie weiter. Natürlich achten wir sehr auf die Kühlkette und die Hygiene.

Habt Ihr auch Kontakte zu regionalen Erzeugern?
Nicht so viel. Wir retten einmal in der Woche auf dem Wochenmarkt. Sicherlich sind die regionalen Erzeuger mehr darauf bedacht, so zu produzieren, dass nicht so viel verschwendet wird.

Kannst Du beobachten, dass sich die Einstellung zu Lebensmitteln verändert?
In den ganzen Jahren, wo ich das Ehrenamt ausführe, habe ich gemerkt, dass das Bewusstsein der Betriebe für den Wert der Lebensmittel steigt. Dieses Umdenken passiert. Im Vergleich zu früher müssen wir weniger Lebensmittel retten. Ganz viele Betriebe wirtschaften besser als vorher, sicherlich auch durch den Kontakt mit dem foodsharing.

Habt Ihr Probleme, Lebensmittel weiterzuverteilen?
Nein, wir haben keine Probleme und können immer alles verteilen. Wir haben eine Whatsapp-Gruppe der foodsaver und wir sind in Facebook aktiv, uns folgen mehr als 2000 Personen, deswegen ist das Umverteilen überhaupt kein Problem.

Wie hat die Corona-Pandemie Euer Engagement beeinflusst?
Zum einen sind wir wie eine kleine Familie, sodass zum Teil Personen, die in Quarantäne waren, durch andere foodsaver versorgt worden sind.
Zum anderen musste ich zu Beginn der Pandemie erstmal koordinieren, was möglich ist. Wir werden wie ein Lieferservice eingestuft, sodass das foodsaving unter bestimmten Bedingungen gut möglich war. Das hat wirklich gut geklappt, auch weil unsere Zusammenarbeit mit dem Ordnungsamt gut läuft.

Treffen sich foodsaver regelmäßig?
Ja, wir haben eine Austauschplattform und Monatstreffen. Menschen, die als Betriebsverantwortliche tätig werden wollen, bekommen von mir eine Schulung.

Was ist Euer erstes Ziel?
Wir retten die Lebensmittel vor der Tonne. Das ist unser Hauptgedanke. Alles andere spielt keine Rolle. Jeder ist eingeladen, sich zu engagieren. Es gibt im Moment viele Leute, die sich als foodsaver engagieren, also die, die Lebensmittel abholen und in ihrem Umfeld weiterverteilen. Das freut mich sehr.

Liebe Anna-Maria, herzlichen Dank für das schöne Gespräch!

(Interview: Antonia Przybilski / März 2022)



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Agenda 2030

Im September 2015 wurde die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung von den Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen einstimmig verabschiedet. Mit der Agenda 2030 hat sich die Weltgemeinschaft 17 Ziele (Sustainable Development Goals, SDGs) für eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Entwicklung gesetzt.

Agenda 2030

Laudato si

Ebenfalls 2015 veröffentlichte Papst Franziskus die Umwelt- und Sozial-Enzyklika "Laudato si - Über die Sorge für das gemeinsame Haus". In diesem Schreiben stellt der Papst klar, dass Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit sich gegenseitig bedingen, und er ruft zu einer umfassenden Umkehr auf, um die Erde zu schützen und zu bewahren.

Enzyklika Laudato si